24.03.2002, 10:14:47
Liebe Carmen, das Thema finde ich wirklich spannend. Letztes Jahr habe ich in der Saison auf Kreta gearbeitet und das Phänomen Ypokrissia hat mir wirklich zu schaffen gemacht. Ich kann Deine Ausführungen nur bestätigen: viele "GastarbeiterInnen" sprachen von den Griechen mit den zwei Gesichtern. Ypokrisie heisst übrigens Heuchelei. Ich habe das Wort schon auf Kreta im Lexikon nachgeschlagen, weil mein Chef diesen Ausdruck ständig benutzte - und das nicht nur in Bezug auf Griechen, sondern in Bezug auf alle und jeden. Was mit diesem Grundgefühl, alle seien Heuchler, einhergeht, ist ein unglaubliches Misstrauen - dem Staat, den Nachbarn, den Fremden gegenüber etc. Ich empfand dieses Misstrauen als sehr irritierend, es hat mir mein Leben dort sehr erschwert. Ständig hatte ich das Gefühl, beweisen zu müssen, dass man mir ruhig vertrauen kann (in der Arbeit z.B.) und ich habe aber genau das nicht erreicht. Natürlich konnte ich es auch gar nicht erreichen, siehe Ypokrissia. Ich hatte aber auch das Gefühl, das diese Ypokrissia nicht vor der Familie halt macht: auch innerhalb der Familie traut keiner keinem, spricht es aber natürlich nicht aus. Andererseits habe ich die Griechen auch als sehr vertrauensselig erlebt, viele Vorsichtsmassnahmen Fremden gegenüber, die hier gang und gäbe sind, fielen dort komplett weg. Ich denke, für die Griechen ist es sehr schwierig, die verschiedenen Verhaltensanforderungen ihrer Kultur - z.B. Familienzusammenhalt und Gastfreundlichkeit - unter einen Hut zu bringen und gleichzeitig den "Modernisierungschub" (die Grossfamilie ist auch in Griechenland auf dem Rückzug) auszuhalten.
Nach wie vor frag ich mich allerdings, wann es gelingt, von Griechen als "Nichtheuchler" akzeptiert zu werden und nach welchen Kriterien ich feststellen kann, wann Griechen nun wirklich meinen, was sie sagen. Oder vielleicht ist der Satz (von wem noch mal?): "Alle Kreter lügen. Ich bin ein Kreter" auch so zu verstehen, dass ein solcher Nachweis nie gelingen kann.
Lieben Gruss
Conni
Nach wie vor frag ich mich allerdings, wann es gelingt, von Griechen als "Nichtheuchler" akzeptiert zu werden und nach welchen Kriterien ich feststellen kann, wann Griechen nun wirklich meinen, was sie sagen. Oder vielleicht ist der Satz (von wem noch mal?): "Alle Kreter lügen. Ich bin ein Kreter" auch so zu verstehen, dass ein solcher Nachweis nie gelingen kann.
Lieben Gruss
Conni