Ist Griechenland 20 Jahre zurueck?

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#1
Das liest und hoert man auch immer wieder und auch hier im Forum bin ich gestern ueber diese Frage gestolpert. Da musste ich erstmal drueber schlafen Wink

Weil....was ist schon vorne und was ist hinten?

Es stimmt, die gesellschaftliche Konstruktion ist frauen- und auslaenderfeindlich, selbstbestimmtes Leben ist aeusserst schwierg aufzubauen, was wir unter "Fortschritt" verstehen, findet nur bedingt statt.

Natuerlich gibt es inzwischen alle technische Ausstattung, die es in Nordeuropa auch gibt, gute Strassen, Handies, Computer etc.pp., daran liegt's nicht.

Aber an den Koepfen, in denen halt oftmals ganz andere Werte zu finden sind, als wir es gewohnt sind. Es gibt keine Rechtssicherheit, weiter noch, selbst was gesetzlich geregelt und garantiert ist, wird in der Praxis noch lange nicht angwandt. Oder es gibt Gesetze, die gegen unser Gefuehl, was "Recht" und richtig ist, vollkommen verstossen.

Man muss sich die Geschichte dieses Landes anschauen, um zu verstehen, was hier eigentlich abgeht. Es ist die Geschichte eines Landes, das vor 170 Jahren kuenstlich geschaffen wurde, umringt von kuenstlich geschaffenen Laendern auf dem Balkan, immer der Macht anderer Interessen ausgesetzt. Und Machtspielen und Vorteilnahme auch von innen, andauernde Kriege von aussen und von innen, dauernd wechselnden Regierungen, Diktaturen etcpp... es ist kein Wunder, dass die Griechen sich auf nichts anderes verlassen als auf ihre Familie. Denn was heute gilt, kann morgen schon wieder verboten sein. Es ist ein Land, in dem die Menschen nicht den Staat bilden, sondern hassen, zumindest argwoehnisch betrachten. Und umgekehrt. Wo keiner keinem traut, und wenn man ehrlich ist, auch bisher keinen Grund hat oder hatte, jemandem zu trauen.

Ein Land, in dem massiv Geschichtsfaelschung betrieben wird, in dem Schule Gehirnwaesche betreibt, der Staat die Buerger beluegt und benutzt und es kein Sozialwesen gibt. Ein Land, in dem doch allen Ernstes ein Freiheitsgefuehl empfunden wird, wenn man Gesetze bricht und heldenhaft ohne Helm faehrt, statt sich dafuer einzusetzen, dass die Kinder vernueftige Schulbildung bekommen...

Was heisst hier schon "zurueck". Ok, wir haben es mit einer Gesellschaft zu tun, die laendlich gepraegt ist, zumindest in den Koepfen. Eine Gesellschaft, in der Stadtluft noch "frei" macht, wo man in der Stadt wenigstens fuer Momente der allgegenwaertigen Kontrolle zu entfliehen. Eine Gesellschaft, die den Moment verpasst hat, wo der Aufbau eines nationalen Identitaetsgefuehls in Auslaenderfeindlichkeit umschlaegt. Eine Gesellschaft, die aufgrund von einer Politik, die dazu diente, einzelne zu beguenstigen, starken Entbehrungen ausgesetzt war...und nun im Konsumtaumel versinkt.

Im Ausland ausgebildete Politiker wie Simitis haben die Probleme erkannt und einiges angefangen, was das aendern koennte. Aber solange es kein Bildungssystem gibt, dass den Kindern ermoeglicht, kritisch zu denken und "Demokratie" nichts weiter bedeutet, als fuer seine oeffentlich geaeusserte Meinung nicht sofort ins Gefaengnis zu kommen, wird sich auch keine andere Lebensform entwickeln. Solange es keine andere soziale Absicherung gibt als die Familie, kann es keine Individuation geben. Solange "anderes" nicht als Bereicherung verstanden, wird, wird es immer behindert werden.

Griechenland ist nicht "zurueck", Griechenland ist komplett anders. Es hat eine vollkommen andere Geschichte als Nord- und Westeuropa, es gab hier keinen Feudalismus und dessen Ueberwindung, keine franzoesische Revolution, keine Aufklaerung, keine Reformation. Es gab nicht die Entwicklung der Staedte, Staende, Zuenfte, selbst der Handel hat sich vollkommen anders entwickelt als wo anders. Nichts, was Griechenland heute vergleichbar macht mit Westeuropa kam von innen heraus, alles wurde aufgepropft, importiert. Es ist nichts von innen heraus gewachsen und als erstrebenswert von den Menschen erstritten worden. Es gab nie eine soziale Bewegung und sie wurde scheinbar auch nie als notwendig erachtet.

Hier ist der Balkan, hier ist alles anders. Wer hier mit westeuropaeischen Masstaeben kommt, kann nur mit ein paar Kennziffern messen, wo Vergleichbarkeiten vorhanden sind, vielleicht in der Wirtschaft, vielleicht in Gesetzen.

Die Frage ist, inwieweit man sich darauf einlassen kann und will... und sich darueber klar ist, dass er/sie nie ein Leben wie in Deutschland, nur mit besserem Wetter und Strand um die Ecke, fuehren werden kann.

Man muss sich einlassen oder am Rand sein eigenes Ding machen oder eben wieder gehen. Aber auch in 20 Jahren wird die vollkommen anders gewachsene griechische Gesellschaft nicht dieselbe sein, wie die deutsche...

Auf Diskussionen gespannte Gruesse
Carmen

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#1
Das liest und hoert man auch immer wieder und auch hier im Forum bin ich gestern ueber diese Frage gestolpert. Da musste ich erstmal drueber schlafen Wink

Weil....was ist schon vorne und was ist hinten?

Es stimmt, die gesellschaftliche Konstruktion ist frauen- und auslaenderfeindlich, selbstbestimmtes Leben ist aeusserst schwierg aufzubauen, was wir unter "Fortschritt" verstehen, findet nur bedingt statt.

Natuerlich gibt es inzwischen alle technische Ausstattung, die es in Nordeuropa auch gibt, gute Strassen, Handies, Computer etc.pp., daran liegt's nicht.

Aber an den Koepfen, in denen halt oftmals ganz andere Werte zu finden sind, als wir es gewohnt sind. Es gibt keine Rechtssicherheit, weiter noch, selbst was gesetzlich geregelt und garantiert ist, wird in der Praxis noch lange nicht angwandt. Oder es gibt Gesetze, die gegen unser Gefuehl, was "Recht" und richtig ist, vollkommen verstossen.

Man muss sich die Geschichte dieses Landes anschauen, um zu verstehen, was hier eigentlich abgeht. Es ist die Geschichte eines Landes, das vor 170 Jahren kuenstlich geschaffen wurde, umringt von kuenstlich geschaffenen Laendern auf dem Balkan, immer der Macht anderer Interessen ausgesetzt. Und Machtspielen und Vorteilnahme auch von innen, andauernde Kriege von aussen und von innen, dauernd wechselnden Regierungen, Diktaturen etcpp... es ist kein Wunder, dass die Griechen sich auf nichts anderes verlassen als auf ihre Familie. Denn was heute gilt, kann morgen schon wieder verboten sein. Es ist ein Land, in dem die Menschen nicht den Staat bilden, sondern hassen, zumindest argwoehnisch betrachten. Und umgekehrt. Wo keiner keinem traut, und wenn man ehrlich ist, auch bisher keinen Grund hat oder hatte, jemandem zu trauen.

Ein Land, in dem massiv Geschichtsfaelschung betrieben wird, in dem Schule Gehirnwaesche betreibt, der Staat die Buerger beluegt und benutzt und es kein Sozialwesen gibt. Ein Land, in dem doch allen Ernstes ein Freiheitsgefuehl empfunden wird, wenn man Gesetze bricht und heldenhaft ohne Helm faehrt, statt sich dafuer einzusetzen, dass die Kinder vernueftige Schulbildung bekommen...

Was heisst hier schon "zurueck". Ok, wir haben es mit einer Gesellschaft zu tun, die laendlich gepraegt ist, zumindest in den Koepfen. Eine Gesellschaft, in der Stadtluft noch "frei" macht, wo man in der Stadt wenigstens fuer Momente der allgegenwaertigen Kontrolle zu entfliehen. Eine Gesellschaft, die den Moment verpasst hat, wo der Aufbau eines nationalen Identitaetsgefuehls in Auslaenderfeindlichkeit umschlaegt. Eine Gesellschaft, die aufgrund von einer Politik, die dazu diente, einzelne zu beguenstigen, starken Entbehrungen ausgesetzt war...und nun im Konsumtaumel versinkt.

Im Ausland ausgebildete Politiker wie Simitis haben die Probleme erkannt und einiges angefangen, was das aendern koennte. Aber solange es kein Bildungssystem gibt, dass den Kindern ermoeglicht, kritisch zu denken und "Demokratie" nichts weiter bedeutet, als fuer seine oeffentlich geaeusserte Meinung nicht sofort ins Gefaengnis zu kommen, wird sich auch keine andere Lebensform entwickeln. Solange es keine andere soziale Absicherung gibt als die Familie, kann es keine Individuation geben. Solange "anderes" nicht als Bereicherung verstanden, wird, wird es immer behindert werden.

Griechenland ist nicht "zurueck", Griechenland ist komplett anders. Es hat eine vollkommen andere Geschichte als Nord- und Westeuropa, es gab hier keinen Feudalismus und dessen Ueberwindung, keine franzoesische Revolution, keine Aufklaerung, keine Reformation. Es gab nicht die Entwicklung der Staedte, Staende, Zuenfte, selbst der Handel hat sich vollkommen anders entwickelt als wo anders. Nichts, was Griechenland heute vergleichbar macht mit Westeuropa kam von innen heraus, alles wurde aufgepropft, importiert. Es ist nichts von innen heraus gewachsen und als erstrebenswert von den Menschen erstritten worden. Es gab nie eine soziale Bewegung und sie wurde scheinbar auch nie als notwendig erachtet.

Hier ist der Balkan, hier ist alles anders. Wer hier mit westeuropaeischen Masstaeben kommt, kann nur mit ein paar Kennziffern messen, wo Vergleichbarkeiten vorhanden sind, vielleicht in der Wirtschaft, vielleicht in Gesetzen.

Die Frage ist, inwieweit man sich darauf einlassen kann und will... und sich darueber klar ist, dass er/sie nie ein Leben wie in Deutschland, nur mit besserem Wetter und Strand um die Ecke, fuehren werden kann.

Man muss sich einlassen oder am Rand sein eigenes Ding machen oder eben wieder gehen. Aber auch in 20 Jahren wird die vollkommen anders gewachsene griechische Gesellschaft nicht dieselbe sein, wie die deutsche...

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